Beginnen wir uns mit dem Nervensystem und seinen verschiedenen Zuständen zu beschäftigen, lässt uns das üblicherweise einen anderen Blick auf die Welt gewinnen. Häufig tritt es nämlich auf, dass wir unsere Nervensystem-Zustände ohne dieses Wissen missinterpretierten als Charakterzüge. So auch in diesem Beispiel:
In meinem Elternhaus wurden wir bis vor kurzem von regelmäßiger Lärmbelästigung heimgesucht. Auf dem Dachboden über uns polterte, knabberte, scharrte und rannte es in einer Lautstärke, dass ich persönlich irgendwann davon ausging, wir müssten es mit einem Waschbären zu tun haben. Das Einzige, was wir jedoch vorfanden, waren Spuren von Mäusen. So begann meine Mutter mit verschiedenen Lebend-Fallen zu experimentieren und war schon bald in der Lage, unsere kleinen Untermieter regelmäßig einzufangen.
Eine Maus von nahem anzusehen, erzeugte bei uns allen Entzückung. Meine Mutter päppelte die Kleinen stets auf und entließ sie dann in ausreichender Entfernung zum Haus wieder in die freie Wildbahn. Hierbei konnte sie beobachten, dass alle Mäuse „so unterschiedlich seien“. „Manche sind ganz wild, und andere ganz lieb“, stellte sie fest. Ihr unterschiedliches Verhalten hatte auch ich bereits beobachten können. Manche Mäuse sprangen in der Falle umher und versuchten sichtlich, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Die anderen Mäuse saßen regungslos in einer Ecke und harrten offensichtlich nur aus.
Die Interpretation, dass wir es hierbei mit verschiedenen Charakterzügen zu tun hätten, ließ mich schmunzeln. Ich erkannte im Mäuse-Verhalten nämlich vielmehr verschiedene Nervensystem-Zustände.
Nervensystem-Zustände erkennen lernen
Vereinfacht gesagt können wir das Nervensystem ja in drei Bereiche unterteilen. Das sogenannte Stresstoleranzfenster beschreibt dabei den Bereich, in dem wir uns wohlfühlen, Neues erkunden und lernen, Herausforderungen meistern und, wie der Name schon sagt, Stress tolerieren können.
Am oberen Rand dieses Bereichs grenzt die sogenannte Übererregung an, also der Bereich, in dem zu viel Energie im Spiel ist, Überforderung droht, der Sympathikus hoch aktiv ist. Hier sitzen z.B. Gefühle wie Panik oder Rage.
Am unteren Rand des Stresstoleranzfensters verorten wir die sogenannte Untererregung. Diese beschreibt Zustände, in denen zu wenig Energie vorhanden ist, sich unsere Wahrnehmung dementsprechend eintrübt und der Parasympathikus hoch aktiv ist. Hoffnungs- und Antriebslosigkeit sind hier anzutreffen.
Die Maus in der Falle durchläuft nun einen ganz normalen Fluss durch diese verschiedenen Nervensystemzustände. In der Falle zu landen, wird zunächst Stress auslösen und viel Energie mobilisieren. Wir bewegen uns also aus Nervensystem-Sicht in Richtung Übererregung. Die Maus beginnt diese Energien abzubauen, dadurch, dass sie Überlebensreaktionen wie das Kämpfen oder Fliehen in die Umsetzung bringt.
Da dieses Energieniveau nicht lange aufrecht zu erhalten ist, und Kampf und Flucht in diesem Szenario zu keinem Erfolg führen (die Maus sitzt ja weiterhin in der Falle), sorgt das Nervensystem dafür, dass die Maus „herunterfährt“. In Zuständen am unteren Ende des Spektrums, in Untererregung, beendet die Maus somit ihren Kampf, und harrt stattdessen aus. Dieser natürliche Energiesparmodus ermöglicht es ihr, im Zweifelsfall noch lange in der misslichen Lage zu überleben.
Spätestens wenn sie in die freie Wildbahn entlassen wird, kann die Maus ihren Schrecken jedoch abschütteln und wieder zu Balance zurückkehren.
Nervensystem-Regulation und Emotionale Kapazitäten
Ein reguliertes Nervensystem ist in der Lage, sich den gegebenen Herausforderungen anzupassen und durch die verschiedenen Zustände zu fließen. Schwierig wird es jedoch, Herausforderungen mit einem dysregulierten Nervensystem abzufangen. Hier fehlt uns schlichtweg die Kapazität, Flexibilität und Souveränität, um mit solchen Einflüssen gelassen umgehen zu können.
Wenn wir emotionale Ausnahmezustände wie Überforderung, Angst, Panik, Wut, Hoffungs- und Antriebslosigkeit regelmäßig erleben, wir uns erschöpft und getrieben fühlen, dann dürfen wir uns hier trauen hinzuschauen.
Wünschen wir uns stattdessen mehr Souveränität, Gelassenheit und Ausgeglichenheit in unserem Alltag, dann sollten wir uns den herausfordernden Emotionen und Situationen unseres Lebens in liebevoller Begleitung stellen, um hier an einer Nervensystem-Regulation und erhöhten emotionalen Kapazitäten zu arbeiten.
Gerne begleite ich dich da auf deinem Weg im Rahmen meiner 1:1 Coaching-Begleitung. Ich freue mich schon, von dir zu hören!