Sich der Endlichkeit und Vergänglichkeit von Dingen bewusst zu werden, ist eine sehr kraftvolle Praxis. Präsenz und Dankbarkeit werden um ein Vielfaches erhöht, wenn wir uns der Endlichkeit des Moments bewusst werden. Würde er sonst womöglich nur an uns vorbeirauschen, können wir ihn mit dem Bewusstsein, dass er sehr fragil und vergänglich ist, viel genauer wahrnehmen und wertschätzen.
Endlichkeit auf dem Jakobsweg
Ganz vorzüglich konnte ich diese Praxis für mich auf dem Jakobweg vertiefen. Hier begegnet man immer wieder Menschen, mit denen man Teile des Weges oder kurze Momente teilt. Sofern man sich nicht verabredet, gemeinsam läuft oder Nummern austauscht, weiß man aber nie ob und wann man sich wiedersehen wird. Das macht für mich persönlich die Magie des Weges aus!
Ich bin bewusst alleine gelaufen, und hatte trotzdem ab Stunde null schon tiefe Begegnungen zu verzeichnen. Nicht zu wissen, ob ich die Menschen wiedersehen würde und ob wir daran anknüpfen könnten, ließ mich noch beschenkter fühlen als sowieso schon. Wie magisch, dass wir uns überhaupt begegnet sind! Wie unwahrscheinlich, dass sich unsere Wege überhaupt gekreuzt haben! Ich konnte empfinden, dass die Verbindung genauso weiterbestünde, wenn wir uns nicht mehr über den Weg laufen. Es gab nichts zu Verlieren, sondern ich hatte bereits nur gewonnen.
Die Unwissenheit darüber ob man sich noch einmal begegnet, lässt jede Begegnung so viel tiefer werden. Die Wertschätzung für das, was man jetzt gerade gemeinsam erleben kann, ist durch die unklaren Umstände stark erhöht.
Ich konnte auf dem Weg also nicht nur praktizieren Loszulassen (z.B. von dem Wunsch jemanden wieder treffen zu wollen oder Erwartungen über den Verlauf des Weges), sondern auch wunderbar Präsenz üben. Das nicht zuletzt Dank meiner täglichen Gehmeditation.
Die Bereitschaft Loszulassen
Sich von der Vorstellung zu lösen, dass man noch viel Zukunft gemeinsam hätte, das etwas immer so weitergehen könnte, das sich etwas schon nicht verändern wird - das mag zwar zunächst sehr herausfordernd sein, aber es befreit. Werden wir uns der Endlichkeit der Dinge bewusst, so ermöglicht uns diese Praxis viel weniger festzuhalten, weniger rigide zu sein, und mehr mit dem Fluss des Lebens mitschwimmen zu können. Die eigene Zufriedenheit wird dann zwangsläufig weniger von Dingen im Außen abhängen, weil wir schlichtweg weniger an den Ausgängen und Entwicklungen der Zukunft hängen, und stattdessen in mehr Dankbarkeit im Hier und Jetzt verweilen.
Sofern die Vorstellung, dass etwas zu Ende geht, oder etwas sich gerade zum letzten Mal vor einem abspielen könnte, nicht überfordert und gruselt, kann ich nur dazu ermutigen, diese Praxis einmal auszuprobieren.
Wunderbar funktioniert das Ganze im Übrigen auch andersherum - wenn wir uns vorstellen, dass wir etwas zum ersten Mal erleben, auch dann stellt sich mehr Präsenz und Dankbarkeit, Neugierde und Freude darüber ein.
Ich wünsche dir viel Freude beim Praktizieren & wäre gespannt zu hören, was sich dadurch für dich verändert.
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