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Unproduktives Bewegen

Laura Kristin Fink

Bewegen wir uns, so haben wir dabei meist eine Agenda im Kopf. Der Körper ist Mittel zum Zweck. „Ich mache Sport, denn ich will abnehmen“, „Ich trainiere, denn ich will am Marathon teilnehmen“, könnten als Beispiele hierfür dienen.



Wir bewegen uns produktiv


Besonders fiel mir dieses Muster auf, als ich mich auf dem Jakobsweg befand. Während die meisten Pilgernden tägliche und größere Ziele verfolgen zu schienen, machte ich mir die Zeit ganz bewusst zu Nutze, indem ich mich von jeglichen Fesseln der Produktivität zu lösen versuchte. Heißt, ich lief um des Laufens Willens. Nicht, weil ich irgendwo ankommen, oder mir ein Zertifikat erarbeiten wollte. Auch nicht, um die ganze Unternehmung in meinen Lebenslauf aufzunehmen (den Jakobsweg gegangen zu sein, scheint bei Arbeitgeber:innen in Spanien gern gesehen zu werden, sodass es gesellschaftlich weit verbreitet ist zumindest die letzten 100km vor Santiago einmal bewältigt zu haben und sein Zertifikat im Pilgerbüro abholen zu können). Ich lief, weil ich nunmal genau dafür den Raum hatte. Eine, wie du dir vorstellen kannst, mitunter sehr herausfordernde, aber heilsame Erfahrung!



Körperarbeit kann mehr


Als ich dann vom Jakobsweg zurück kam, war für mich total ersichtlich (der Weg hatte es mir schließlich die ganze Zeit gespiegelt), dass es für mich weiter und tiefer gehen darf in Sachen Körperarbeit. Die Fragen rund um „Wie ist jemand verkörpert? In welchem Verhältnis stehen wir zu unseren Körpern? Wie können wir uns unseren Körpern liebevoller zuwenden? Was steht uns dabei vielleicht im Weg?“ begleiteten mich all die Wochen.


Dabei zeigte sich, dass ich mich prinzipiell auch in Richtung Bewegung fortbilden wollen würde. Sodass ich nicht nur Raum und Begleitung dafür anbiete, seine Körperwahrnehmung zu erhöhen und Emotionen zu verarbeiten, sondern all diese Prozesse auch durch Bewegung sicher unterstützen kann. Das ist das endlos Spannende an der Arbeit als Coach - es gibt so viele hilfreiche Ansätze und Methoden, und man darf sich während seiner ganzen Tätigkeit einen Werkzeugkoffer aus Wissen, Interventionen und Zugängen zusammenstellen, die den eigenen Klient:innen und im ersten Schritt einem selbst Gewinn bringen können.


Also forschte ich für mich vermehrt in Richtung freiem Bewegen, irgendwo zwischen Yoga und Tanz. Ich gebe darin meinem Körper einen wertfreien Raum sich frei auszudrücken. Dabei in einen Fluss zu kommen, ist stets besonders bewegend.



Eine weiße Frau mit langem blonden Haar tanzt im Wald, ihre Hände dabei gen Himmel gereckt. Man sieht sie in einer Nahaufnahme von hinten

So habe ich mich eines Tages auch mal wieder durch meine Wohnung treiben lassen. Ein wenig Musik auf die Ohren und los geht’s. Mein Körper bewegt sich, ohne dass ich darüber nachdenken müsste. Ich genieße mein Dasein in dieser meditativen Praxis.



Plötzlich kamen mir hierbei die Tränen und der erleichternde Gedanke „Das ist so furchtbar unproduktiv was ich hier mache!“



Diese Erkenntnis empfand ich in dem Moment als total ergreifend, weil ich realisierte, dass wir unseren Körper eben zumeist produktiv bewegen, immer mit Agenda im Kopf. Wir mögen ein Ziel haben und setzen unseren Körper hierfür ein. Aber wo gibt es so etwas - dass unser Körper wirklich einfach nur da sein und sich ausdrücken darf?!



Bewegung ohne Ziel, ohne Agenda


In dieser freien Bewegungspraxis hingegen gibt es eben kein Ziel zu erfüllen. Meine Bewegungen müssen weder schön aussehen, noch irgendjemandem gefallen. Besser noch, niemand schaut mir dabei zu oder bewertet mich hierfür. Stattdessen darf sich einfach ausdrücken, was sich aus mir heraus ausdrücken möchte, zwang- und zwecklos.


Gerade für mich als performende Künstlerin ist das immer wieder eine befreiende Erfahrung. Normalerweise geht es in meiner Arbeit auf der Bühne ja durchaus ums Darstellen von Etwas, und um die Erreichung von Zielen. Diesen Druck bewusst zu lösen, indem wir einen freien Raum zum Bewegen anbieten, kann wahnsinnig heilsam sein. Am Anfang mag das etwas komisch und ungewohnt sein, gerade weil wir es eben gewohnt sind etwas körperlich zu leisten oder darzustellen. „Wie soll ich mich denn jetzt bewegen?“, könnte man sich fragen. Doch umso mehr man sich der freien Bewegungspraxis anvertraut, desto mehr kann man sich von Zweifeln, Hemmungen oder Bewertungen dieser Art lösen und immer mehr im genussvollen Hier & Jetzt ankommen.


All das soll nicht in Konkurrenz stehen mit produktiven Bewegungsformen. Es ist schön und nachvollziehbar, wenn sich Menschen Ziele setzen und sie mithilfe ihres Körpers erreichen. Ich möchte hiermit lediglich aufmerksam machen auf eine andere, unproduktivere Art und Weise sich durchs Leben zu bewegen, denn diese wird viel zu häufig übersehen.


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