Oder: Weshalb der Kopf oft nichts zu Melden hat.
Heute teile ich hier eine weitere Anekdote aus meiner Wander-Erfahrung mit dir. Sie zeigt nämlich wunderbar, in welchem Verhältnis Verstand und Nervensystem zueinander stehen können.
Einst war ich auf Fernwanderschaft, also mehrere Tage am Stück auf einer längeren Strecke unterwegs. Schnell stellte ich mal wieder für mich fest, dass meine liebste Zeit zum Loswandern morgens, noch vor der Dämmerung, war. Die Stille am Morgen ist einfach unvergleichlich. Im Dunkeln loszustapfen und dann mitzuerleben wie Flora & Fauna langsam erwachen, wie die Sonne aufgeht, und diese unbeschreiblich friedliche Stimmung zu bezeugen, das hatte sich für mich an den letzten Tagen so richtig bewährt. Oft begann meine Etappe sowieso in einer Kleinstadt, aus der ich mich erst einmal heraus bewegen durfte. Es war also meine Routine geworden, noch im Dunkeln loszugehen um dann die magische Morgen-Stimmung in der Natur genießen zu können.
So begab ich mich auch auf meiner letzten Etappe der Wanderung gefühlt mitten in der Nacht aus dem Haus und machte mich auf den Weg. Was mir erst aufging als ich schon einige Meter gelaufen war? Ich befand mich nun alleine mitten im dunklen Wald.
Meine letzte Unterkunft war nämlich anders als alle vorigen nicht in einem Ort gelegen, sondern eine einzelne Hütte im Wald gewesen. Eine wirklich tolle Lage, und unter Wandersleuten höchst beliebt. Nur hieß das eben in meinem Fall auch, dass ich mich nun im Stockdunkeln schon mitten im dichten Wald befand, und das für die gesamten nächsten Kilometer.
Wenn die Angst zupackt
Ich zog los mit Handylicht, als mir so langsam dämmerte, dass ich das Ganze nicht zu Ende gedacht hatte. Jetzt für etwa eine Stunde durch die Dunkelheit ziehen zu müssen bis hier überhaupt etwas von der Sonne spürbar würde… Das hatte ich mir so nicht vorgestellt. An Umkehren war auch nicht wirklich zu denken, lag die Hütte mittlerweile schon weiter zurück. Also lief ich weiter.
Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Ich befand mich in Wolfsgebiet! Das hatte ich vor wenigen Tagen auf einer Infotafel gelesen. Von da an packte mich die Angst. Ich spürte förmlich gierige Wolfs-Augen, die aus dem Dickicht auf mich blickten und mich verfolgten.
Rational wusste ich, dass das absoluter Blödsinn war. Ich hatte auf der Infotafel nämlich auch gelesen, dass der Wolf höchst scheu ist, und sich im Zweifel aus dem Staub macht. Wenn ich seine Nachtruhe hier stören würde, würde er sicher nicht über mich herfallen, sondern das Weite suchen. Auch wusste ich, dass ich viel mehr Respekt vor Wildschweinen haben müsste. Die Wahrscheinlichkeit ihnen zu begegnen war nicht nur um ein Vielfaches höher, auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Begegnung in einem Konflikt endet war bei ihnen viel wahrscheinlicher als beim scheuen Wolf.
Aber es half nichts, die Angst hatte mich bereits im Griff. Ich konnte mir noch so sehr darüber bewusst werden, dass gerade alles eigentlich absolut unbedrohlich war - die Situation fühlte sich in dem Moment existenziell bedrohlich an.
Ich spielte also laut Handymusik ab, sang dazu und wartete irgendwann an einer nebligen Moor-Lichtung (wunderschön, auch wenn es mich dort noch immer ziemlich gruselte) auf etwas mehr Sonne, bevor ich letzten Endes weitergehen konnte.
Den Rest der Strecke lachte ich herzlich über meine Erfahrung. Wie absurd es doch war in solch eine Angst zu verfallen und rational einfach gar nichts dagegen halten zu können!
"Nervensystem rules!"
Woran das liegt? An unserem formidablen Nervensystem natürlich. Es ist permanent darauf aus, Sicherheit für uns zu generieren. Es scannt hierfür rund um die Uhr äußere Einflüsse, innere Wahrnehmungen, und schickt somit im Grunde permanent Sicherheitseinschätzungen an unser Gehirn. Es trifft auch in Windeseile autonom Vorkehrungen um wieder mehr gefühlte Sicherheit herzustellen.
So mag in meinem Beispiel das Außen zwar faktisch sicher gewesen sein (es gab ja keine tatsächliche Bedrohung, die ich erkennen konnte), aber dennoch bewertete mein Nervensystem den Moment als viel zu unsicher. Durch die Dunkelheit und die Assoziationen in meinem Kopf war da zu viel Gefahren-Potential spürbar, zu viel Unklarheit, und mein Nervensystem rauschte in die Übererregung. Hinter jedem Ast witterte ich Gefahr, ich sah mich insgesamt bedroht und mein Körper bereitete sich mit erhöhtem Puls, Atmung und Muskelanspannung auf eine mögliche Flucht vor.
Rationale Gedanken konnten hier wie gesagt keine Abhilfe schaffen. Das liegt daran, dass das Nervensystem in Gefahrensituationen das Zepter übernimmt. Die Gefahrensituation zu meistern hat natürlich Vorfahrt vor kognitiven Abwägungen und Einschätzungen. Wir haben ja mitunter blitzschnell zu reagieren um in einer tatsächlichen Gefahrenlage unser Überleben zu sichern. Daher können wir in einem solchen aktivierten Moment noch so sehr unseren Verstand bemühen - solange wir uns außerhalb unseres Stresstoleranzfensters bewegen, greifen diese Gedanken schlichtweg nicht.
Nervensystem-Regulation statt Gedankenkreisen
Das Einzige was hier Abhilfe schafft, ist auf Nervensystem-Ebene wieder in mehr Balance zu gelangen. Das geht z.B. ganz klassisch durch erfolgreiche Flucht, Kampf oder Selbstregulation. Mich also mit Musik zu beschallen und zu singen, hat mir in dem Moment etwas Sicherheit und Verbundenheit beschert und mich somit etwas beruhigt. Zudem erlebte ich es als gelungene Verteidigungsmaßnahme so viel zu Lärmen, und das ließ mich weniger hilflos fühlen.
Mit diesem Beispiel möchte ich dir erneut zeigen, wie wichtig und unabdingbar es doch ist, das wir uns unserem Körper zuwenden und auf Nervensystem-Ebene ansetzen um mehr Sicherheit herzustellen. Denn kognitiv kommen wir an diese Punkte schlichtweg nicht heran. In unserem Körper hingegen liegt der Schlüssel für mehr Sicherheit, Vertrauen und Gelassenheit.